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Samakai – Heilige Diät mit dem Yawanawá Volk

Genüsslich beiße ich von einem Stück Schokoladenkuchen ab und nehme einen Schluck meines frischgepressten Ananassaft, den ich mir soeben an einer Autobahnraststätte gekauft habe. Ab morgen schon, so denke ich bei mir, werde ich dies nicht mehr tun können. Ich befinde mich auf der Landstraße, die von Belo Horizonte [1] nach Extrema führt, einem kleinen Städtchen im Süden des Bundesstaats Minas Gerais in Brasilien. Dort im Nationalpark „Parque do Cabritos “ inmitten eines Reservats des Atlantischen Waldes werde ich bei einer spirituellen Diätgruppe teilnehmen (Samakai), die von dem indigenen Volk Yawanawá [2] geleitet werden wird. Es ist sehr heiß. Keine Wolken am Himmel. Die Sonne brennt erbarmungslos auf das Auto. Meine Wasserflasche ist stets in Reichweite. Auch pures Wasser wird es ab morgen nicht mehr geben. Dennoch bin ich fest entschlossen, diese abenteuerliche Herausforderung anzugehen. Aufkeimende Unsicherheiten schiebe ich rigoros beiseite. 

Samakai

Samakei (übersetzt als „Diät“) ist eine Praxis der spirituellen Vertiefung, die vom Volk der Yawanawá durchgeführt wird. Es ist eine Zeit, in der sich die Person dem Studium und der Stärkung seines Geistes widmen und sich auf die Ziele konzentrieren soll, die sie in ihrem Leben erreichen möchte. 

            Es gibt verschiedene Arten von Diäten in der Tradition des Volkes Yawanawá, die abhängig vom Zweck und den Vorerfahrungen der jeweiligen Person mit unterschiedlichen Medizingeistern vollzogen werden, zum Beispiel mit Caiçuma („mamã“), Jenipapo („nane“) oder rotem Pfeffer („yutxi“). [3] Für unsere Gruppe wird es die erste Diät dieser Art sein und von daher mit Caiçuma („mamã“) durchgeführt, einem. Getränk aus Maniok [4]. Insgesamt wird die Diät vier Wochen andauern, zwei Wochen zusammen in der Diätgruppe und zwei Wochen alleine zu Hause. 

            Nach acht Stunden Fahrt auf der Landstraße komme ich endlich in Extrema an. Dort werde ich schon erwartet und wir bauen mein Zelt auf. Dafür habe ich mir einen ruhigen und abgeschiedenen Platz im Wald gesucht. Es ist bereits spät. Nach einem kleinen Abendessen lege ich mich müde in mein kleines Zelt und schlafe schnell ein. 

            Am nächsten Morgen nach dem Frühstück findet die große Eröffnungszeremonie statt. Insgesamt 22 Personen haben sich zu dieser Diätgruppe zusammengefunden. 21 Frauen und ein Mann. Aus ganz Brasilien kommen die Teilnehmer, sogar aus Saudi-Arabien und aus der Ukraine sind zwei von ihnen angereist. Die Yawanawás selbst sind zu diesem besonderen Zweck extra aus ihrem über 3000 Kilometer entfernten Dorf im Amazonas-Regenwald gekommen.

            Ich bin aufgeregt und freue mich darauf, die Schamanin kennenzulernen, die diese Diät leiten wird. Sie ist eine der erste Frauen, die in der Tradition ihres Volkes Yawanawá die harte Ausbildung zur spirituellen Führerin durchlaufen ist, eine strenge einjährige Diät alleine im Regenwald, die bisher nur Männern erlaubt war. Zudem ist dies die erste Diätgruppe, die nicht-indigenen Völkern offen steht und von ihr geleitet wird. Eine großartige Gelegenheit, die Spiritualität des Volkes Yawanawá kennenzulernen und zu studieren. 

„Seya“ – Eröffnungsgebet für die Spiritualität 

Unsere Gruppe sitzt in einem großen Kreis im Salon des Campingortes. Wir werden begrüßt und stellen uns gegenseitig vor. Die Schamanin ist mit ihren fünf Kindern angereist. Es gibt Musik. 

            Die Gruppenleiterin erklärt uns den Ablauf der Diät und ihre Eröffnung in der Tradition des Yawanawá Volkes: „Die Schamanin wird für jeden einzelnen von euch ein Eröffnungsgebet sprechen („Seya“). Dieses Gebet wird sie in einen Tontopf namens „Shumu“ sprechen. Im „Shumu“ befindet sich die Medizin Caiçuma („mamã“), mit der ihr diese Diät durchführen werdet. Wenn ihr – wie es die Legende der Yawanawá besagt –  die im Shumu von ihr geheiligte Medizin trinkt, wird ein Samen in eurem Körper und Geist gepflanzt. Eure Aufgabe ist es dann, die Pflanze, die aus diesem Samen entsteht während der Samakei-Zeit in euch wachsen zu lassen.“ 

            Heute, am ersten Tag wird die Diät für drei Personen eröffnet. Zu diesem Zweck gibt es eine Verlosung. Ich schreibe meinen Namen auf einen kleinen Zettel und lege ihn zusammen mit den Zetteln der anderen Teilnehmer in einen Topf. Ich kann es kaum erwarten anzufangen, male mir jedoch keine allzu großen Chancen aus. Die Gruppenleiterin zieht den ersten Zettel. „Barbara“, ruft sie. Dann den zweiten: „Carina“. Enttäuschung kommt in mir hoch. Plötzlich höre ich meinen Namen. „Inga“, ruft sie und sieht zu mir herüber. Ich wurde als Dritte für heute ausgelost! Erleichterung und Freude machen sich in mir breit. 

            Es ist soweit. Ich bin an der Reihe. De Schamanin und ich sitzen uns in ihrem kleinen Zelt gegenüber. Zwischen uns steht der mit der Medizin gefüllte Tontopf („Shumu“). „Für den Erfolg dieser Diät ist es wichtig, dass du klare Ziele hast, etwas was du lernen, entwickeln oder heilen möchtest,“ sagt die Schamanin zu mir. „Welches sind deine Ziele?“ fragt sie weiter. „Ich möchte meinen Geist und meinen Körper stärken. Ich möchte mehr Vertrauen in mich entwickeln und etwas für meine Gesundheit tun,“ antworte ich ihr. Die Schamanin nickt. „Ich werde mich jetzt mit meinen Vorfahren verbinden und deine Worte mit in mein Gebet einbinden“, sagt sie zu mir.  Sie senkt ihren Kopf dicht über den Tontopf („Shumu“) und fängt an zu beten. Ich schließe die Augen und konzentriere mich auf meine Ziele. Nach ungefähr 20 Minuten hebt die Schamanin ihren Kopf und beendet ihr Gebet. Sie reicht mir den Tontopf. „Hier trinke jetzt etwas von dem Caiçuma. Es ist wichtig, dass du deine Ziele während der Diät immer klar vor Augen hast.“

            Ich bedanke mich bei der Schamanin. „Bitte iss und trink für heute nichts mehr“, ermahnt sie mich noch bevor ich zurück zu meinem Zelt gehe. Hier verkrieche ich mich für den Rest des Tages und konzentriere mich auf den Beginn der Diät. 

Die Diät 

Generell gelten während der Diät (Samakai) strikte diätische und körperliche Regeln. So ist das Trinken reinen Wassers untersagt. Unser Getränk während der Diät ist Caiçuma. Zucker, das heißt, jegliche süß schmeckende Lebensmittel, auch süße Früchte sind von dem Speiseplan verbannt. Darüber hinaus soll kein Salz verwendet, kein rotes Fleisch gegessen und auf Sex verzichtet werden.

            Als ich am Morgen nach der Eröffnungszeremonie aufwache knurrt mein Magen etwas, doch insgesamt fühle ich mich glücklicherweise nicht besonders hungrig. In der Küche des Campingressorts steht schon der frische Caiçuma bereit. Am ersten Tag der Diät soll noch nichts gegessen sondern ausschließlich Caiçuma getrunken werden. Trotz anfänglicher Zweifel überstehe ich diesen ersten Tag erstaunlich gut. Der Caiçuma, für den der gekochte Maniok in einem Mixer verarbeitet wird, bis er trinkbar ist, hat an sich schon einen leicht sättigenden Effekt. 

            Ab dem zweiten Tag und die restliche erste Woche der Diät gibt es viel Mais, grüne Bananen, Kartoffeln, Maniok, und jede Menge Caiçuma. Mit dem Beginn der zweiten Diätwoche wird unser Speiseplan dann um Reis, Bohnen, Nüsse, Eier und Salate erweitert. Unser Hauptgetränk ist immer noch Caiçuma, doch wer möchte kann bereits auf ein wenig bittere Tees wie Kamillen- oder Hibiskustee oder auf Säfte wie Acerola- oder Acai-Saft zurückgreifen.  

            Während der Diät verbringe ich viel Zeit in der Natur. Der Park befindet sich in einem Reservat des Atlantischen Waldes, einem der artenreichsten und zugleich bedrohtesten Wälder des Planeten [5]. Hier habe ich viel Zeit zum Nachdenken und kann beobachten, wie die großen blauen Schmetterlinge im Wind tanzen und die bunten Kolibris die Blüten der Pflanzen bestäuben. Die Maritakas zwitschern fröhlich und ab zu höre ich, wie sich die Eidechsen durch das Gebüsch schlängeln. Aufpassen muss ich allerdings vor den Spinnen, denn hier ist auch eine der giftigsten Spinnen der Welt zu Hause, die Brasilianische Wanderspinne.

            Die Stunden, die wir für uns alleine und für die Konzentration auf unsere Ziele aufwenden werden fast täglich mit Ritualen der heiligen Pflanzenmedizinen Ayahuasca und Rapé [6] ergänzt. Diese Rituale dauern den ganzen Tag oder die ganze Nacht an, und werden begleitet mit Musik und Gesang. Sie sollen unsere Spiritualität weiter vertiefen und uns bei der Erreichung unserer Diätziele unterstützen. Zur Vorbereitung dieser Rituale bemalen sich die Personen des Volkes Yawanawá mit den roten und schwarze Farben der Regenwaldfrüchte Jenipapo (schwarz) und Urukum (rot) und auch wir die Teilnehmer der Diätgruppe erhalten im Anschluss eine Bemalung. Diese Gesichtsbemalung dient für uns alle als energetischer Schutz. 

Zu Hause – Resultate 

Die ersten zwei Diätwochen im Atlantischen Wald sind um. Nun geht es wieder zurück nach Hause. Hier gilt es die Diät noch zwei weitere Wochen alleine durchzuführen. Ich bin fest entschlossen nicht nachzugeben und die Diät bis zum Schluss durchzuhalten.

            Täglich bereite ich mir meinen Caiçuma und meine Mahlzeiten sorgfältig vor. Kaum Gefühle des Verzichts kommen auf, keine Sehnsucht nach Süßigkeiten plagt mich. Mehr und mehr merke ich, wie gut mir diese radikale Nahrungsumstellung tut. Mein Geschmackssinn verstärkt sich und ich erkenne wie anders die Lebensmittel in ihrer natürlichen Form schmecken, ohne Zugabe von Zucker oder Salz. 

            Das Ende der Diät ist erreicht. Ich bin stolz darauf, diese Diät vier Wochen lang durchgezogen zu haben. Bezogen auf meine Ziele kann ich sagen, dass ich mehr Zuversicht gewonnen habe. Ich fühle mich geistig und körperlich energetisch gereinigt, alles scheint mehr im Gleichgewicht. Äußerlich fällt auf, dass meine Haare und meine Haut besser geworden sind und ich an Gewicht verloren habe. Auch für die Zukunft, habe ich mir vorgenommen diesen Ernährungsstil weiter beizubehalten, da es mir viel Freude bereitet, etwas Gutes für mich und meinen Körper zu tun. 

            Einige Zeit später: Es sind jetzt bereits mehrere Monate in denen ich meine Ernährung komplett umgestellt habe. Altes traditionelles indigenes Wissen kann es durchaus mit der modernen Ernährungswissenschaft aufnehmen. Für die Schamanen der indigenen Völker sind spezielle Diäten ein Mittel zur Weiterbildung, denn ihr  Körper muss ständig geformt und transformiert werden. Durch Diäten findet für sie diese Transformation statt. Auch ich möchte dies nicht mehr missen.

[1] Belo Horizonte ist die Landeshauptstadt des im Südosten Brasiliens gelegenen Bundesstaates Minas Gerais. 

 

[2] Die Yawanawá sind ein indigenes Volk, das in der indigenen Region Rio Gregório in der Gemeinde Tarauacá im Westen des Bundesstaates Acre in Brasilien lebt. Es sind ungefähr 450 Menschen in diesem indigenen Stamm. Der Name „Yawanawá“ bedeutet „Povo do Queixada“, was übersetzt soviel bedeutet wie „Volk des Nabelschweins“. Das Symbol des Pekari (Yawa) (Nabelschwein) bekräftigt den Zusammenhalt der Gruppe und die stabile Beziehung zu ihrem Gebiet, das derzeit das indigene Territorium ist. Die Yawanawá unterhalten seit ungefähr einem Jahrhundert kontinuierliche Beziehungen zu den Weißen. Ausführlichere Infos zum Volk Yawanawá lassen sich unter folgenden Links finden (auf Portugiesisch): https://pib.socioambiental.org/pt/Povo:Yawana

https://pt.wikipedia.org/wiki/Iauanauás

 

[3] Alle diese Diäten bringen eine andere Energie mit sich und legen unterschiedliche Zeiten der Vollendung fest.

 

[4] Caiçuma ist ein fermentiertes Getränk, das zu besonderen Anlässen von den indigenen Völkern konsumiert wird. Die "mamã" oder Caiçuma auf der Basis von Mais oder Maniok wird auch als einziges Getränk verwendet, das während der Initiationsdiäten der Schamanen Yawanawá erlaubt ist. Es ist wichtig, „Diät Caiçuma“ von „Caiçuma für Feste“ zu unterscheiden, da der erste alle zwei oder drei Tage gekocht werden muss, um eine übermäßige Gärung zu vermeiden, während der zweite durchaus stärker fermentiert sein kann.

 

[5] "Der Atlantische Wald ist einer der fünf 'Hotspots' der wichtigsten Artenvielfalt der Erde und das größte von der UNESCO ausgewiesene Biosphärenreservat, das eine der vorrangigen Schutzregionen weltweit darstellt. Vor Jahrhunderten erstreckte sich der Wald über mehr als 130 Millionen Hektar an der brasilianischen Ostküste, einschließlich der nördlichen Teile Argentiniens und Ostparaguays. Heute sind in Brasilien nur 7% des Atlantischen Waldes in gutem Zustand, verteilt in isolierten Fragmenten über jeweils 1.000 Hektar. Die letzten Überreste dieses üppigen Waldes beherbergen eine Fülle biologischer Vielfalt, die mit dem berühmten Amazonas vergleichbar ist." (...) Siehe: https://www.pactomataatlantica.org.br/the-atlantic-forest

 

[6] Die wichtigsten traditionellen Rituale der Yawanawá werden mit den Pflanzenmedizinen „Uni“ (Ayahuasca) und „Rume“ (Rapé) vollzogen. Sie sind spirituelle Reinigungszeremonien und bringen eine heilende und energetische Wiederbelebung. „Rume“ (Rapé) ist ein Schnupftabak, der aus getrocknetem und fein gemahlenem Mapacho Tabak, sowie aus Teilen oder der Asche von verschiedenen Heilpflanzen oder heiligen Bäumen besteht, wie zum Beispiel dem „Tshunu-Baum“, und mit Hilfe eines Rohres (Tepi) in die Nase gepustet wird. „Uni“ (Ayahuasca) ist ein sakramentales Getränk, das durch das gemeinsame Abkochen der folgenden zwei im Amazonas-Regenwald beheimateten Pflanzen erzeugt wird: Der Rebsorte mit dem Namen „Banisteriopsis caapi“ und den Blättern des Kaffeestrauchgewächses genannt „Psychotira viridis“ (Chacrona).

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